Ich habe mal gelesen, dass der Schriftsteller Haruki Murakami jeden Morgen um 4 Uhr aufstehe, um fünf bis sechs Stunden konsequent durchzuschreiben. Danach laufe er zehn Kilometer. Den Rest des Tages widme er Tätigkeiten, die weniger Konzentration benötigen, außerdem dem Hören von Musik und dem Lesen, generell der Entspannung. Um spätestens 9 Uhr abends gehe er dann ins Bett. Am nächsten Morgen beginne alles wieder von vorne. Write, Run, Sleep, Repeat – dies sei sein täglicher Rhythmus, wenn er sich in der Schaffensphase eines neuen Werkes befindet. Auf diese Art und Weise hat er bereits 25 Romane und über 50 Kurzgeschichten zu Papier gebracht.
Was soll ich sagen, zwischen seinem und meinem literarischen Output liegen Welten, ach was, ganze Universen. Oder Galaxien. Ich vergesse immer, was größer ist. Lassen wir Talent und Fertigkeiten in diesem Vergleich mal ganz außen vor. Eine meiner besten Eigenschaften ist eine gesund-realistische Selbsteinschätzung und meine Schreibkünste mit denen von Murakami zu vergleichen, wäre in etwa so, als würde ich sagen, dass Tim Raue und ich demnächst zusammen ein Restaurant eröffnen, weil wir ja beide so gerne kochen. Nein, abgesehen von diesem offensichtlichen Unterschied mangelt es mir vor allem an einem: Disziplin.
Es ist nicht so, als hätte ich nicht schon unzählige Ideen für neue Kolumnen im Kopf gehabt. Ich wollte über Shinrin Yoku schreiben, die japanische Tätigkeit des Waldbadens, darüber, warum Männer sich in Genderdiskussionen oft persönlich angegriffen fühlen und über Elizabeth Gilberts großartiges Buch „Big Magic“.
Was mache ich stattdessen? Ich binge auf Netflix „Anatomy of a Scandal“. Wer’s noch nicht gesehen hat: Ein britischer Minister hat eine Affäre mit einer jüngeren Kollegin, die ihn nach dem Ende der Affäre der Vergewaltigung beschuldigt – aus seiner Sicht völlig ungerechtfertigt. In den insgesamt sechs Folgen der Serie gibt es überdurchschnittlich viele Gerichtsszenen, entsprechend rhetorisch spitzgefeilte Dialoge und zwischendrin immer wieder verwaschen gefilmte Rückblenden in die ausschweifende Studienzeit des Ministers im elitären Oxford. Es geht um Privilegien, #metoo und die Frage, wie objektiv Wahrheit sein kann. Bis zum hanebüchenen Plot Twist in der Mitte der Serie war ich hooked, danach bin ich nur noch drangeblieben, weil Sienna Miller so wunderschön, Rupert Friend wie bereits in „Homeland“ so undurchsichtig sexy und Michelle Dockerys britischer Akzent so klangvoll ist. Kann man sich anschauen, muss man aber nicht. Ich hätte die knapp sechs Stunden Lebenszeit also auch guten Gewissens ins Schreiben investieren können. Wobei Murakami keine Blaupause für meinen idealen Tagesablauf wäre; ich laufe lieber morgens und schreibe lieber mittags. Aber wie man es dreht und wendet, mir ist schon klar, dass jede Tätigkeit, die man ernsthaft betreiben will, einer disziplinierten Routine bedarf.
Im Yoga bezeichnet man diese Disziplin als Tapas. Tapas kann auch mit Leidenschaft, Feuer, Glut oder Hitze übersetzt werden. Dieses Feuer brennt durch unsere inneren Widerstände und lässt unser Ego nach und nach in den Hintergrund rücken, bis nur noch reines Bewusstsein übrig ist. Eine der besten Beschreibungen zu Tapas, die ich bislang gelesen habe, ist: Tapas bringt einen dazu, das zu tun, was man nicht tun will, und das nicht zu tun, was man tun will. Zu Deutsch: Tapas lässt uns auch dann die Yogamatte ausrollen (oder die Laufschuhe schnüren), wenn wir lieber ein Glas Wein trinken würden, lässt uns morgens für eine Meditation aufstehen, anstatt im Bett durch Instagram zu scrollen. Wenn wir auf dem Pfad der Erleuchtung weiterkommen wollen, sagen die Yogis, dann müssen wir Tapas kultivieren. Sonst wird’s nichts, Ende aus, Micky Maus.
Das gilt nicht nur für das Thema Erleuchtung, das gilt für alles, was wir im Leben erreichen wollen. Für manche Dinge brauchen wir etwas weniger Beharrlichkeit, für manche etwas mehr. Übrigens entstammt der Begriff innerer Schweinehund der Wildschweinjagd des 19. Jahrhunderts. Die Eigenschaften des Treibhundes – das Hetzen, Dranbleiben, Verfolgen – wurden auf besonders „bissige“ Menschen übertragen. Konsequenterweise müssten wir also eigentlich unseren inneren Schweinehund aktivieren, anstatt ihn zu überwinden.
Mein Treibhund in den letzten Wochen war eher ein gemütlicher Labrador als ein agiler Terrier. Interessante Frage by the way: Wie sieht dein innerer Wachhund aus? Wenn wir davon ausgehen, dass wir alle einen Anteil in uns haben, der uns vor Situationen, Menschen und Handlungen beschützen will, die uns vermeintlich gefährlich werden können (in Wirklichkeit aber nur auf Konditionierungen und Glaubenssätzen beruhen), wie sieht dieser Hund aus? Groß? Klein? Langhaar? Kurzhaar? Dalmatiner oder Dobermann?
Diese Frage kam letztens in einem Online-Coaching auf, an dem ich teilgenommen habe. Aber das ist jetzt wirklich eine andere Geschichte, die ein andermal erzählt werden soll. Zum Schluss nur noch soviel:
“If you show up for the muse consistently, then she will start showing up for you.”
Mit diesem hübschen Zitat und ganz vielen guten Vorsätzen: over and out. Für heute. Morgen schreibe ich wieder, ganz bestimmt.