So long, Summer!

Griechenland ist gerade mächtig en vogue. Gefühlt war jeder (inklusive mir) dieses Jahr dort; Zeitungen, Zeitschriften, online – überall lese ich Artikel über griechische Inseln, griechisches Essen, griechischen Lifestyle. Mein Instagram-Feed ist voll mit Fotos von weiß-blauen Häusern, schroffen Felsen und türkisfarbenem Wasser. Westwing hatte im Sommer eine spezielle Kollektion von Einrichtungs- und anderen schönen Gegenständen, die auf das Lebensgefühl unterschiedlicher griechischer Inseln abgestimmt waren, in der Weinbar am Carlsplatz philosophierte der Besitzer letztens über den seiner Meinung nach berechtigten Hype für griechische Weine. Und jetzt schaue ich auch noch „So long, Marianne“, eine Serie über Leonard Cohen, die größtenteils auf Hydra spielt. Alles Zufall?

Entweder das oder ich leide an einer Frequenzillusion, im Volksmund auch als Baader-Meinhof-Phänomen bezeichnet. Letzterer Begriff entstand in den 1990ern, als ein Nutzer in einem Forumsbeitrag darüber schrieb, dass, seitdem er den Namen der RAF-Gruppe das erste Mal gelesen hatte, dieser ihm fortan ständig begegnete. Und er fragte sich: Wie kann das sein? Tritt er wirklich (aus welchem Grund auch immer gerade gehäuft auf) oder spielt mir mein Hirn einen Streich?

In der Psychologie bezeichnet man diesen Sachverhalt als „kognitive Verzerrung“ und die wohl geläufigste Ausprägung ist die selektive Wahrnehmung. Der Ausdruck wird fälschlicherweise oft in einem negativen Kontext verwendet; dabei nimmt jeder Mensch seine Umwelt selektiv wahr und zwar zwangsläufig. Unser Gehirn muss die permanent auf uns einprasselnden Sinneseindrücke filtern, ansonsten wären wir komplett überfordert und nicht handlungsfähig. Und da unser Gehirn schlau ist, filtert es in der Regel die Eindrücke heraus, von denen es davon ausgeht, dass sie für uns relevant sind. Das, was wir als Wirklichkeit bezeichnen, ist also immer und grundsätzlich nur eine individuell angepasste Variante der Realität. Es könnte also durchaus sein, dass mein Gehirn einfach „Griechenland“ als neue wichtige Variable für meine Weltsicht hinzugefügt hat und dass ich all die Posts, Geschichten und Produkte nur deshalb verstärkt bemerkt habe.

Wundern würde es mich ehrlich gesagt nicht, denn meine Reise nach Griechenland im Frühsommer dieses Jahres (die erste jemals, by the way) war wirklich großartig und prägend. Athen, anstrengend und hip und schick, und von den kleinen Kykladen-Inseln, die wir danach ansteuerten, war eine schöner als die andere. Jedes Mal vergossen wir sinnbildliche Tränen, wenn wir eine Insel verlassen mussten, weil wir fest davon überzeugt waren, dass es woanders niemals genauso schön sein könne. Und dann war es dort noch schöner. Wahrscheinlich hätten wir dieses Spiel endlos fortsetzen können – Griechenland hat über 3.000 Inseln, wenn auch nur etwa 170 davon bewohnt sind. Aber selbst diese hätten wir in den zweieinhalb Wochen bis zu unserem Rückflug nur schwerlich geschafft. Also blieb es bei Serifos, Sifnos und Naxos und der Sehnsucht nach mehr.

Wir waren Anfang Mai unterwegs; für meinen Geschmack genau zur richtigen Zeit. Die Saison hatte noch nicht begonnen und die Inseln, Örtchen und Strände waren so leer, dass meine Mutter mich nach ein paar WhatsApp-Fotos besorgt fragte, ob wir es nicht unheimlich fänden, überall allein zu sein. Für mich war es ein Traum. Ich mag das Gefühl, einen vermeintlich einsamen Ort zu entdecken, am liebsten nur Einheimische um mich herum, durch die menschenleeren Straßen zu laufen und durch Zufall die coolste Taverne im Dorf zu finden. Letzteres stellte sich oftmals als gar nicht so schwer heraus, denn so viele Tavernen gab es dort, wo wir waren, schlichtweg nicht. Von der unberührten Sechzigerjahre-Künstleridylle, die in der Cohen-Serie gezeigt wird, sind die Inseln heute dennoch weit entfernt.

„So long, Marianne“ nimmt einen mit nach Hydra, das selbst in den 60ern wie aus der Zeit gefallenen wirkt. Eine Insel, auf der es mehr Katzen als Einwohner gibt, mit einen Hafen, der nicht mehr ist als ein kleiner Anlegesteg und einer Taverne, die morgens starken Kaffee und abends Wein aus Flaschen ohne Etikett ausschenkt. Hier wohnen schnauzbärtige Griechen (man sieht in der Serie tatsächlich fast nur Männer) mit von der Hand in den Mund lebenden, aber sorgenfreien Künstlerinnen und Künstlern aus der ganzen Welt Tür an Tür. Viele Stufen gibt es auf Hydra, und zwischen den felsigen Buchten und den weiß-getünchten Häusern mit den dicken Wänden schreibt, singt, leidet und liebt der von Alex Wolff sensationell gespielte junge Leonard so nah und intensiv, dass man einfach nicht wegschauen kann.

Ich kann mir nicht helfen – Serien wie „So long, Marianne“ lösen ein Gefühl der Nostalgie und Melancholie in mir aus. Dabei weiß ich gar nicht, was genau mein Herz so schwer werden lässt. War ich in den 60ern auf Hydra und vermisse es? Nein, natürlich nicht. Aber ich sehne mich nach etwas. Nach einer Zeit, die ruhiger, langsamer und unkomplizierter war. Einem Lebensstil, der der Kunst und nicht dem Kapitalismus gewidmet ist. Nach Unvernunft, nach Drama, nach einem Leben, das man austrinkt. All das gibt einem die Serie, und das Ende jeder Folge ist wie ein unschöner Come-down.

Möglicherweise singe ich gerade auch einfach nur den Herbst-Blues. Ich gebe zu, dass ich immer noch nicht bereit bin, den Sommer komplett gehen zu lassen. Und vielleicht ist es auch o. k., ihn noch ein klein wenig länger festhalten zu wollen. Sich zu weigern, Strumpfhosen unter Kleider und Röcke anzuziehen, das Gesicht jedem Sonnenstrahl zuzudrehen und sich in Cafés nach wie vor nach draußen zu setzen.

Kleine Rituale, das weiß ich, können in Zeiten des Übergangs helfen. Sie unterstützen uns dabei, emotional loszulassen, das zu würdigen was war, und sich innerlich auf das was kommt einzustellen. Wie wäre es daher mit diesem: Ich kaufe mir einen der nach Griechenland riechenden Unisex-Düfte von Korres, mache „Dance Me to the End of Love“ an und trinke dazu Rotwein aus kleinen Gläsern. Und dann: Yamas und so long, Summer! Du warst wunderschön, ich danke dir.

Welcome Autumn.

Allein unter Bougainvillea auf Sifnos
Blau, weiß, felsig, einsam auf Serifos
Herbstbote, eindeutig

Noch geht’s ohne Socken

Dito

Kleiner Helfer für den Übergang

Der Korres-Flagship-Store in Athen

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