Vergangenen Herbst hatte ich das Vergnügen, den Amerikaner Jason Silva, „Tech Philosopher and Futurist“ (so die Bezeichung auf seiner offiziellen Präsenz im World Wide Web), kennenzulernen. Okay, „kennenlernen“ ist jetzt vielleicht ein klein wenig übertrieben. Ich lauschte auf einem Event, für das ich PR machen sollte, einem seiner Vorträge, schüttelte ihm vorher die Hand, fragte ihn, wie ihm der Veranstaltungsort Frankfurt gefalle und versichterte ihm nach seinem Vortrag, dass dieser „awesome“ gewesen sei. Wir stießen mit einer Cola (er) und einem Prosecco (ich) an und keine zehn Minuten später saß er in einem Taxi Richtung Hotel und Flughafen und war aus meinem Leben verschwunden. Ich muss an dieser Stelle unbedingt noch erwähnen, dass Jason unverschämt gut aussieht – nicht nur in seinen Youtube-Videos, sondern auch in Realitas (was wohl auch Heather Graham fand, die eine Zeitlang mit ihm zusammen war), weshalb meine Stimme bei den drei Sätzen, die ich mit ihm sprach, ziemlich wahrscheinlich so klang wie die von Micky Maus, nachdem sie gerade einen 400-Meter-Sprint hingelegt hat. Dieses Detail aber nur der Vollständigkeit halber.
Was mich nämlich wesentlich nachhaltiger beschäftigte als Jasons Aussehen, war seine Fähigkeit, seine Zuhörer nach nur wenigen Minuten völlig in seinen Bann zu ziehen. Jason redet ziemlich schnell und ziemlich viel – und ziemlich oft über die Flow-Theorie. Den Begriff hat er nicht selbst erfunden, er stammt von einem ungarisch-kroatischen Glücksforscher namens Mihály Csíkszentmihályi. Dieser bezeichnete als „Flow“ den Zustand des völligen Aufgehens in einer Sache, wenn man alles um sich herum vergisst, nur in diesem einen, exakten Moment existiert und schließlich über sich hinauswächst. Yogis erleben den Flow, wenn sie meditieren. Musiker, Wissenschaftler, Athleten – sie alle kennen das Gefühl, wenn Raum, Zeit und Selbst scheinbar aufgehört haben zu existieren.
Doch Flow-Momente sind nicht nur einer kleinen Elite von außergewöhnlichen Individuen vorbehalten. Jeder kann sie erfahren, und fast jeder hat sie schon erlebt. Und bei jedem ist es etwas anderes, was ihn in diesen einen, perfekten Zustand versetzt. Meine Flow-Momente? Wenn ich bei einem Wettkampf merke, dass ich ohne die Anstrengung zu spüren, schneller laufe, als ich es jemals im Training für möglich gehalten hätte. Wenn ich Tom Odells „Another Love“ wahnsinnig aufdrehe, laut mitsinge und mich in dem Moment, in dem der Song in der zweiten Hälfte haltlos leidenschaftlich und verzweifelt wird, völlig verliere. Wenn ich es beim Surfen endlich geschafft habe, lange und sicher genug auf dem Brett zu stehen, dass mich die Welle pfeilschnell, wie von einem Seil gezogen an den Strand schießt. Wenn ich beim Backen zwischen Mehl, Schalen und Schüsseln hin und her hantiere und alles um mich herum vergesse…
„Hyperfokussierung“ nennt die Wissenschaft dieses Phänomen, wenn man eins wird mit seiner Tätigkeit. Solche Erlebnisse machen süchtig: Wer sie einmal hatte, will sie immer wieder. „Mehr, mehr!“ ruft es nach solch perfekten Augenblicken in mir. Bevor der Alltag mich verschluckt, will ich noch einen weiteren einizigartigen Moment, in dem ich mich ganz bei mir und so unendlich lebendig fühle.
Der afro-amerikanische Autor und Bürgerrechtler Howard Thurman hat genau dazu eine wunderbare Aussage getroffen: „Don’t ask yourself what the world needs. Ask yourself what makes you come alive and then go do that. Because what the world needs is people who have come alive.“
Ich kann ihm nur aus vollem Herzen zustimmen. Jason Silva übrigens auch.