Immer wenn ich mich in einem Wald befinde, muss ich an daran denken, dass man ihn oft vor lauter Bäumen sprichwörtlich nicht sehen kann. Stattdessen sieht man einen Baum, und noch einen, und noch einen, und dahinter unzählige weitere. Das Gefühl für die Gesamtheit des Waldes, für seine aus Einzelteilen bestehende Einheit verliert man schnell. Ich bin kein Wald-Mensch – ich bevorzuge die freie Sicht auf die Welt um mich herum, wie man sie von einem Berg hat oder wenn man von der Küste aus übers Meer auf den Horizont schaut. Wälder beruhigen mich nicht, sie beklemmen mich eher. Die Baumstämme scheinen ein Labyrinth zu bilden und die Blätter rascheln mir zu, dass ich hier so schnell nicht mehr rausfinden werde. Ein Baum, noch ein Baum, noch ein Baum… wo ist Norden, Süden, Osten, Westen? Woher weiß ich, dass ich nicht im Kreis laufe?
Manchmal beschleicht mich genau dieses Gefühl in meinem Leben. Immer dann, wenn mir alles zu viel wird, mutieren alle kleinen Details um mich herum zu großen Baumstämmen, zwischen denen ich ziellos hin und her irre. Dann schnappe ich mir meist meine Joggingschuhe und laufe los. Mit jedem Schritt gelingt ist es, mich ein Stückchen mehr zu sortieren und auf einmal weiß ich wieder: „Ha! Das hier ist doch in Wirklichkeit ein Wald!“. Und ich werde wieder ganz ruhig. Plötzlich ist da ein gleißender Sonnenstrahl zwischen den Bäumen, der mir Orientierung gibt.
Ein guter Freund lacht mich gerne aus, weil ich Dinge immer ins „big picture“ einordnen will. Aber nur so macht man aus den Bäumen einen Wald. Doch manchmal, das muss ich zugeben, fühlt es sich herrlich verwegen an, sich einfach treiben zu lassen, Baum für Baum. Letztlich findet man aus dem Wald doch immer wieder raus.