Es gibt Nächte, die nie enden wollen und in denen bis zuletzt alles möglich scheint. Wenn man in so einer Nacht aus dem Club oder von einer Party kommt, weiß man mit absoluter Sicherheit, dass jetzt noch was geht. Am Himmel fließt schon das erste Morgenblau über das Nachtschwarz, aber es fühlt sich nicht an, als ob etwas endet, oh nein, es fühlt sich an wie Endlosigkeit. In solchen Momenten will man überall hin, nur nicht nach Hause. Im Rausch von Schlaflosigkeit, manchmal Alkohol und immer Endorphinen sind die Sinne gleichermaßen benebelt wie glasklar und der Geist ist rast- und furchtlos. Irgendetwas Verrücktes will man jetzt noch machen – das kann doch noch nicht alles gewesen sein für heute! In solchen Momenten ist kein Plan zu wild, keine Idee zu abwegig. Komm, wir brechen ins Freibad ein! Oder wir fahren ans Meer und schauen uns dort den Sonnenaufgang an! Überhaupt: Lass uns irgendwo hinfahren! Dieses absolut sichere Gefühl, dass man, wenn man sich nur weiter bewegt, dem Ende der Nacht entfliehen kann…
Mit dem Vorschlag irgendwo hin zu fahren, kriegt man mich ja immer, da muss ich mich noch nicht einmal in diesem magischen Schwebezustand zwischen Nacht und Tag befinden. Und so ließen mich die Worte „Wenn wir bis zur Endstation sitzen bleiben, kommen wir am Flughafen an, können dort aussteigen und einfach irgendwo hinfliegen!“ aufhorchen. Es war Januar, halb 5 morgens, eiskalt und grau. Ich saß in der S-Bahn auf dem Rückweg von einer Party neben einem hübschen, jungen Mann, den ich an dem Abend kennengelernt hatte. Wir hatten getanzt, gelacht und auf der Party und in der Bahn ein bisschen geknutscht. Jetzt saßen wir Arm in Arm im Neonlicht auf den abgewetzen Sitzen der S11 und befanden uns irgendwo zwischen hyperaktiv-aufgekratzt und hundemüde. „Wohin würden wir fliegen?“, fragte ich. Und ergänzte direkt: „Irgendwohin, wo die Sonne scheint!“. Europa fiel damit sofort aus (Januar ist hier bekanntlich kein garantierter Sonnenmonat) und irgendwie kamen wir dann nur auf Dubai – aber kein Problem, da waren wir beide noch nicht und man will ja immer was Neues sehen. Wir wussten, dass es dahin von Düsseldorf aus mehrere Verbindungen am Tag gab, also bestimmt auch eine am Sonntagmorgen. Vor lauter Begeisterung begannen wir, schneller und lauter zu reden, rechneten irgendwie aus, dass wir perfekt zu einem späten Frühstück ankommen würden; dann erst einmal schlafen in der Sonne und danach würden wir weiterschauen. Spontan Montag freinehmen, damit man nicht direkt am gleichen Abend wieder zurück müsse? Na klar ginge das! Was wären wir wild – nur Kreditkarte und Ausweis und die ganze Welt läge uns potenziell zu Füßen. Und wenn nicht Dubai, dann wäre auch sonst was o.k.! Hauptsache, wir wären zum Frühstück irgendwo anders, nur nicht hier.
Wir sind in dieser Nacht nicht zum Flughafen gefahren. Stattdessen stieg jeder an seiner Station aus, wir umarmten uns zum Abschied und keiner fragte den anderen nach seiner Telefonnummer. Wir wussten beide, dass wir uns nichts mehr zu sagen haben würden, sobald der Zauber der unendlichen Nacht verflogen wäre, und wir wollten uns ein Wiedersehen in der hässlichen Realität ersparen.
Manchmal ertappe ich mich bei der Frage, was passiert wäre, wenn wir doch weitergefahren und dann ins Flugzeug gestiegen wären. Wir wären deshalb kein Paar geworden, soviel ist klar. Aber ich könnte heute jedem erzählen: Damals, nach dieser Party, da bin ich einfach zum Flughafen gefahren und mit diesem Typen, den ich grade erst kennengelernt hatte, zum Frühstück nach Dubai geflogen.
Das wäre schon eine verdammt coole Geschichte.