Von guten Vorsätzen zum Jahreswechsel halte ich nichts. Nur weil von einem Tag auf den nächsten eine Jahreszahl anders ist, soll man sein Leben umkrempeln? Macht für mich keinen Sinn und ist psychologisch gesehen sowieso fraglich. Veränderung muss aus uns selbst kommen; äußere Umstände können zwar gute Katalysatoren sein, aber ohne inneren Antrieb verpufft die Veränderungsenergie ganz schnell wieder. Nicht umsonst leeren sich die Fitnessstudios spätestens im März wieder und auf den „Dry January“ folgt in den seltensten Fällen ein „Dry February“.
Insofern ist es eher Zufall, dass eine kleine, aber signifikante Veränderung in meinem Leben (oder sagen wir vielleicht aktuell noch: der Versuch einer Veränderung) mit dem Start des neuen Jahres einherging. Während einer Laufrunde kurz vor Silvester hatte ich eine Folge des wirklich schönen und grundsympathischen Podcasts „Prana up your Life“ gehört, in dem eine der beiden Protagonistinnen von einer Testreihe zum Thema Mediation berichtete, die sie im Rahmen ihrer Masterarbeit durchgeführt hatte. Sie hatte eine Gruppe von Menschen 30 Tage lang jeden Tag mit der App „7Mind“ meditieren lassen und die Veränderung auf die gefühlte Stresswahrnehmung und Achtsamkeit untersucht – mit eindeutig positiven Ergebnissen.
Der Podcast machte mich neugierig. Was, wenn man durch regelmäßige Meditation wirklich sein Leben – zumindest bestimmte Aspekte davon – verändern kann?
Bislang hatte ich mich zwar durchaus schon an Meditation versucht (als regelmäßig Yoga Praktizierende passiert das zwangsläufig), bislang fehlte es mir aber an der nötigen Konsequenz und ja, ich gebe zu, an der nötigen Motivation, sie dauerhaft in meinen Alltag zu integrieren. Aber dreißig Tage jeweils sieben Minuten? Das sollte ich doch wohl schaffen!
Meine persönliche Achtsamkeits-Challenge oder wie man es schafft, sich selbst zu überlisten
Ich weiß nicht, wer mit diesen „Challenges“ angefangen hat, aber für einen kompetitiven Menschen wie mich gibt es wahrscheinlich keinen überzeugenderen Anreiz, irgendetwas durchzuziehen. Deklariere es als Wettbewerb und ich bin dabei! Vegan-Challenge, Sugar Free-Challenge, Plank-Challenge? Alles schon gemacht! Der begrenzte Zeitraum der Challenges (in der Regel 30 Tage) ist ein weiterer guter Trick, der bei mir wirkt. Die zeitliche Begrenzung nimmt einem nämlich die Angst, auf einmal vor einer riesengroßen, nicht zu bewältigenden Veränderung zu stehen. Stattdessen sieht man es als eine Art spielerischen Test: Ich versuche dies oder das jetzt einfach mal 30 Tage lang und wenn’s am Ende keinen Spaß macht, dann höre ich einfach wieder auf. Simpel.
Und doch habe ich Respekt vor meiner neuen Challenge, denn: 30 Tage sind 30 Tage. Und jeden einzelnen davon werde ich mich neu dafür entscheiden müssen, heute wieder zu meditieren. Veränderung ist nämlich so eine Sache. Bis uns neue Gewohnheiten in Fleisch und Blut übergehen, braucht es in der Regel mindestens 100 Tage. Und, auch das ist Fakt: Um Platz für Neues zu schaffen, muss man etwas Altes aufgeben. Und sei es nur die Option, morgens ein paar Minuten länger im Bett liegenbleiben zu können.
Aber ich will das! Ich will herausfinden, ob sich regelmäßige Meditation wirklich positiv auf mein Leben auswirkt, ob sie mich ruhiger, gelassener und stressresistenter macht.
Ich lade mir also die 7Mind-App auf mein iPhone, kaufe mir eine neue Packung Räucherstäbchen (wenn schon, denn schon) und korrigiere die Aufstehzeit auf meinem Wecker. Ab morgen geht es los!
Challenge accepted, ich bin bereit!
Woche 1
Ich bin topmotiviert und stehe jeden Tag eine Stunde früher auf, als ich eigentlich müsste, um pünktlich auf der Arbeit zu sein. Eine Stunde Zeit, die ich mir nehme, um ganz leise in den Tag zu starten. Ich orientiere mich grob an den morgendlichen ayurvedischen Reinigungsprinzipien, schabe direkt nach dem Aufstehen meine Zunge, ziehe manchmal sogar noch Sesamöl durch meine Zähne und trinke ein großes Glas heißes Wasser. Dann rolle ich meine Yogamatte aus, setze mich im Schneidersitz hin und starte den Grundlagenkurs der 7Mind-App. Beim ersten Hören bin ich unsicher, ob mir die Stimme und Betonungsart des Sprechers gefällt. Schon ab der zweiten Meditation aber habe ich mich an sie gewöhnt und empfinde sie als angenehmen und beruhigend. Der Grundlagenkurs besteht aus sieben aufeinander aufbauenden, je siebenminütigen Mediationen, die jeweils von einem kurzen Intro und Outro begleitet werden. Insgesamt benötigt man so etwas zehn Minuten pro Meditation.
In den ersten Meditationen geht es vor allem darum, den eigenen Körper wahrzunehmen und die Aufmerksamkeit bewusst auf verschiedene Partien zu lenken. Ich bin erstaunt, dass ich tatsächlich einzelne Teile meines Körpers isoliert wahrnehmen und in sie hineinspüren kann, wenn ich mich darauf konzentriere. Mir fällt auf, dass ich automatisch und ständig meine linke Schulter höher ziehe als meine rechte. Warum mache ich das? Und mache ich das immer, auch im Alltag? Ich versuche, beide Seiten meines Körpers gleichermaßen zu entspannen und loszulassen.
Im Anschluss an jede Meditation mache ich noch eine gute halbe Stunde Yoga und lockere und dehne meine Muskeln. Alles in allem klappt die erste Meditationswoche super und ich fühle mich beschwingt.
Woche 2
Um das in der ersten Woche Gelernte zu vertiefen und zu verankern beschließe ich, den Grundlagenkurs einfach noch einmal zu machen. Sehr nett übrigens: die App begrüßt mich jeden Morgen und „spricht“ ein paar motivierende Sätze mit mir. Fand ich erst albern, gefällt mir aber mittlerweile richtig gut.
Ich starte also noch einmal von vorne, beginne erst mit Körperwahrnehmung, dann der Fokussierung auf den Atem und schließlich der Visualisierung der inneren Mitte. Man sollte meinen, dass mir all das beim zweiten Mal deutlich leichter fällt. Ist komischerweise aber nicht so. Irgendwie kann ich diese Woche nicht gut bei mir bleiben. Das mag daran liegen, dass meine in den Weihnachtsferien sorgsam aufgebaute Grundentspannung langsam, aber sicher abnimmt. Im Job geht es grade rund: Ein Großprojekt zum Jahresauftakt nimmt mich zeitlich und emotional ganz schön in Anspruch und ich merke, dass ich mal wieder in meinen „on fire“-Modus schlittere. Das kenne ich schon von mir – je schneller sich die Welt um mich herum dreht, desto schneller drehe ich mich mit. Genau das möchte ich aber lernen, zu verändern. Der japanische Aphorismus „Wenn du es eilig hast, gehe langsam“ leuchtete mir lange Zeit nicht ein. Wenn ich es eilig hatte, dann ging ich – völlig logisch – einfach schneller! Mit dem Ergebnis, dass ich mich umso mehr getrieben fühlte – und mitnichten besser vorankam.
Mittlerweile verstehe ich den Satz besser und begreife, warum Entschleunigung grade in besonders hektischen Zeiten total sinnvoll ist. Wenn mir das doch nur nicht so schwer fallen würde! Je gestresster ich bin, desto mehr widerstrebt es mir, mich mal eben für zehn Minuten auszuklinken. Aber Übung macht ja bekanntlich den Meister und so begebe ich mich auch in dieser Woche jeden Morgen brav auf meinen Matte und atme ein und atme aus, ein und aus, ein und aus…
Woche 3
Ich habe beschlossen, den Grundlagenkurs bis zum Ende meiner Challenge einfach immer wieder zu machen. Die insgesamt sieben unterschiedlichen Meditationen sind mir noch nicht langweilig geworden und interessanterweise entdecke ich bei jedem neuen Hören einen neuen Aspekt, auf den ich vorher noch nicht geachtet hatte.
Das mit dem exrafrühen Aufstehen klappt mittlerweile so semi. Der Winter setzt mir dieses Jahr mehr zu als sonst; die in wirklich signifikantem und auch meteorologisch bestätigtem Ausmaß fehlende Sonneneinstrahlung macht mich schrecklich müde und ich komme ums Verrecken nicht aus den Federn. Morgens lediglich eine halbe Stunde zu snoozen verbuche ich schon als großen Erfolg. In der Konsequenz stehe ich jedes Mal später auf, als eigentlich geplant, und muss mein Morgenritual stark kürzen. Aber die rund zehn Minuten für die Meditation nehme ich mir jeden Tag. Einzig an einem Morgen, an dem ich noch vor dem Job zum Zahnarzt muss, schaffe ich es nicht. Aber immerhin – das sind das sechs von sieben Tagen! Ich bin mit mir und meinem Durchhaltevermögen sehr zufrieden.
Womit ich weniger zufrieden bin, ist mein „Monkey Mind“. Meine Gedanken springen in der Meditation auch in der dritten Woche immer noch wie rastlose, kleine Äffchen von Ast zu Ast. Ich muss sie ständig wieder einfangen. Die wenigen Momente, in denen mir das gelingt und ich einfach nur wahrnehme, ohne teilzuhaben, sind allerdings himmlich. Ich höre meine Gedankenäffchen zwar immer noch, aber sie sind sind ganz leise, wie aus der Ferne durch Millionen von Wattebäuschen gedämpft. Ich sitze einfach da, und die in meinem Geist entstehende Ruhe ist wahnsinnig erholsam.
Woche 4
Mittlerweile freue ich mich richtig auf meine kleinen Auszeiten. Der Morgen gehört nur mir und ist mein Ruheanker, bevor ich in die Hektik des Tages eintauche. Zwar ist es immer noch nicht so, dass ich mich hinsetzen und auf Kommando in tiefe Zen-Stille abtauchen kann, aber das ist o.k.. Ich merke, dass ich an manchen Tagen leichter zur Ruhe komme und an anderen Tagen sehr lange brauche, um die Hektik in mir loszulassen und meine Gedanken und meinen Körper, der einfach nicht stillsitzen will, zu beruhigen. An diesen Tagen meditiere ich oft ein wenig länger als die sieben Minuten, die die App mir vorgibt – und am Ende finde ich dann doch noch die Stille in mir.
Auf der Arbeit fällt mir die aktuelle Ausgabe der Geo mit dem Titelthema „Die Kraft der Meditation“ in die Hände. Wie passend! Den Artikel verschlinge ich natürlich sofort und er ist höchst interessant. Er berichtet über das so genannte „ReSource-Projekt“, die bislang längste und umfangreichste nicht-religiöse Studie zur Wirkung von Meditation und mentalem Training. Durchgeführt vom Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig untersucht die Studie über einen langen Zeitraum und mit einer signifikanten Probandenanzahl, wie unterschiedliche Meditationstechniken auf Körper und Geist wirken. Fakt ist: Alle Techniken führen zu einem gefühlten Stressrückgang, viele auch zu einem tatsächlichen und messbaren Rückgang des Stresshormons Cortisol. Alle Techniken steigern die Körperwahrnehmung und wirken sich förderlich auf die Konzentration aus. Beeindruckend.
Wer also bislang der Ansicht war, Meditation sei esoterischer Quatsch – hier ist der wissenschaftliche Gegenbeweis!
Fazit
Auf einmal sind die 30 Tage um und meine Challenge zu Ende. Und jetzt? Bin ich verändert?
Ein wenig schon. Ich habe in meinen täglichen Sessions gelernt, dass es eine Ruhe in mir gibt, die unabhängig von äußeren Umständen in mir existiert. Dieses Wissen gibt mir Kraft, wenn es um mich herum mal wieder hektisch wird und ich Gefahr laufe, mich zu verlieren.
Aber die Ruhe ist ein zartes Pflänzchen, das gegossen werden möchte, um weiter zu wachsen. Und machen wir uns nichts vor: Die Umgebung, in der das Pflänzchen wächst, ist alles andere als förderlich für sein Gedeihen. Mein ständig fiependes Handy, mein Job, meine Kollegen, mein Chef, meine Freunde, meine Familie, meine Beziehungen, mein Terminkalender, meine Social Media-Accounts, meine sich ständig überschlagenden Gedanken und meine oftmals viel zu intensiven Gefühle – sie alle wollen meine Aufmerksamkeit und meine Energie. Bislang habe ich beides ohne zu überlegen und mit vollen Händen in die Menge geworfen, nur um am Ende des Tages japsend und manchmal regelrecht ausgelaugt dazustehen.
Aber ich lerne langsam, besser auf mich Acht zu geben. Die Ruhe in mir hat begonnen, mir heilig zu werden. Ich spüre nämlich, dass sie mir hilft, mein Leben bewusster wahrzunehmen, dass sie meinen Instinkt dafür schärft, was mir wirklich gut tun, und dass sie mir die Energie gibt, mich den Menschen, die mir wichtig sind, intensiver zuzuwenden.
Noch bin ich meilenweit von all diesen Dingen entfernt. Aber ich habe auf einmal das Gefühl, dass sie irgendwann möglich sein könnten. Und die Aussicht darauf ist etwas, das ich hegen und pflegen werde.
Die wunderbare Tashi Dava, eine Yogalehrerin und Globetrotterin, die ich vergangenes Jahr in Portugal kennengelernt habe, hat es auf den Punkt gebracht: Du kannst alles von mir haben, aber nicht meinen inneren Frieden! Um mir den zu erhalten, werde ich weiter meditieren.
Meine nächste Challenge sind 100 Tage Meditation. Auf geht’s!
Wie sieht das bei dir aus – hast du dich auch schon mal an Meditation versucht? Vielleicht auch mit einer App? Schreibe mir gerne deine Erfahrungen oder auch deine Fragen!
Kann man auch eine andere Tageszeit zur Meditation wählen?
Ja, auf jeden Fall! Du machst es dir selber einfacher, wenn du dir immer einen festen Zeitpunkt am Tag dafür setzt, aber das muss nicht der Morgen sein. Genauso gut geht das auch abends vor dem Einschlafen zum Beispiel.