Mit Flip-Flops kommst du nicht zum Mond

Ich habe bislang nur ein einziges Mal in meinem Leben demonstriert, da war ich 24, trug Flip-Flops und ein Sommerkleidchen und war versehentlich in vorderster Reihe dabei, als wir, uns gegen Studiengebühren auflehnend, den Düsseldorfer Landtag stürmen wollten. Wer schon einmal versucht hat, schnelle Seitwärtsbewegungen in einer Menschenmasse zu machen, um finster dreinblickenden Polizisten auszuweichen, weiß, dass es dafür keine weniger geeignete Fußbekleidung gibt als Flip-Flops. Und so tat ich das damals einzig Sinnvolle: Ich nahm meine Schlappen in die Hand und verkrümelte mich ganz schnell wieder.

Glücklicherweise macht einen das Leben (manchmal) schlauer und so trage ich an diesem Samstag festes Schuhwerk, als ich gemeinsam mit zehntausenden anderen Menschen über die Rheinkniebrücke laufe. Wie in vielen anderen deutschen Städten gehen die Leute auch hier auf die Straße, um ein Zeichen zu setzen gegen die extremen und beängstigenden Ideen, die in unserer Gesellschaft seit einiger Zeit wie giftiges Plastik vor sich hinkokeln. Wir ziehen durch die Stadt, halten bunte Schilder mit provokanten bis witzigen Sprüchen in die Höhe, der Himmel ist blau, die Stimmung entspannt, es fühlt sich an wie eine Mischung aus Familienausflug, Schulwandertag und Festival. Meine Freundin und ich tragen unsere Kaffee-to-Go-Becher in der Hand, Kinder laufen zwischen ihren Eltern hin und her – auf dieser Demo bekäme man auch mit Stilettos keine Probleme. Friedlicher Protest mit großem F.

Gandhi wäre stolz auf uns.

Später lese ich, dass zu Spitzenzeiten fast 100.000 Menschen demonstriert haben. Eine Zahl, die mich stolz auf meine Stadt macht, und die mir bestätigt, woran ich im tiefsten Inneren glaube: nämlich, dass die Mehrzahl der Menschen gut ist und dass die Leute, wenn es drauf ankommt, das Richtige tun.

Mein Blick fällt auf das Brückengeländer und ich muss an den Spruch denken, dass man niemals zweimal in den gleichen Fluss steigen kann. Mit dem protestierenden Flip-Flop-Mädchen von damals habe ich nicht mehr viel gemeinsam. In meinen Zwanzigern war ich fest davon überzeugt, dass die Welt aus Einsen und Nullen besteht und dass man sie ausschließlich und am besten rational erfasst. Meine Heldin war Fräulein Smilla aus dem Roman mit dem Schnee. Eine Frau klar und hart wie Eis, die sich von niemandem verarschen lässt, deren Religion die Wissenschaft ist und die nur das glaubt, was sie selbst gesehen hat. Nicht mal der wuschelköpfige Gabriel Byrne kann ihr Herz im Film erweichen. Ich liebte sie dafür und dachte, ich wäre ziemlich cool deswegen. Meine Welt damals war zynisch und ich fand‘s gut.

Heute weine ich vor Rührung bei jeder Folge von „This is Us“, habe aus Mitgefühl aufgehört, Fleisch zu essen, und lege Kristalle zum Aufladen ins Mondlicht. Über letzteres streite ich mich regelmäßig mit meinem Freund, der das natürlich für totalen Humbug hält. Sein Argument ist, dass es so etwas wie Mondlicht gar nicht gibt, denn der Mond leuchtet nicht ja selbst, sondern wird lediglich von der Sonne angestrahlt. Mondlicht ist also nichts anderes als Sonnenlicht, so what? Darauf entgegne ich dann höchst wissenschaftlich, dass sich die Farbtemperatur des Lichtes durch die Reflektion auf der Oberfläche des Mondes verändert. Fast 1000 Kelvin niedriger ist sie als die Temperatur des Sonnenlichtes, wodurch das Mondlicht ganz andere energetische Eigenschaften hat. Was die wiederum mit meinen Kristallen machen – keine Ahnung. Ich nehm‘s einfach mal so hin. Vielleicht muss man nicht alles erklären können und letztlich schadet es ja niemandem, wenn ich einmal im Monat nachts ein paar hübsche Steine aufs Balkongitter lege. Es gibt Dinge, da darf man getrennter Meinung sein. Wichtig ist, dass man sich im richtigen Moment die richtigen Schuhe anzieht und sich für das, woran man glaubt, auf die Hinterbeine stellt.

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