Püppi, deine Schublade klemmt!

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Man muss das Geld zum Fenster rauswerfen, damit es zur Tür wieder reinkommt. Dieser schlaue Satz stammt nicht von mir, sondern von Karl Lagerfeld. Der Meister des Bonmots hatte ja bekanntlich so einiges an flotten Sprüchen parat. Legendär auch seine Meinung zu Tattoos („Grässlich! Als müsse man lebenslänglich ein Kleid von Pucci tragen.“) oder der jungen Heidi Klum („Ich kenne sie nicht. Claudia kennt die auch nicht. Die war nie in Paris, die kennen wir nicht.“). Herrlich!

Ich liebe exzentrische Menschen. Eine meiner engsten Freundinnen im Studium war ähnlich unkonventionell und direkt wie Lagerfeld. Das amüsierte mich in der Regel unglaublich, war aber natürlich hin und wieder auch ein wenig anstrengend. „Mäuschen“ sagte sie oft zu mir oder „Püppi“. Wir verbrachten unsere Zeit in Bars und Galerien, gingen auf Partys und in Filmkunstkinos, rauchten Gauloises und tranken schwarzen Kaffee und Sambuca dazu. Selbstredend zog sie irgendwann nach Berlin, wohin auch sonst. Hätte man eine Stadt für sie entwerfen wollen, dann wäre Berlin dabei herausgekommen – a match made in heaven. Viele Jahre besuchte ich sie dort, verliebte mich ebenfalls in die Stadt und überlegte sogar, die Wohnung neben ihr als Zweitwohnung zu mieten. Klassisches Berliner Hinterhaus, damals wäre sie für 420 Euro im Monat zu haben gewesen. Hätte ich das mal gemacht. Heute ist Wohnraum in Berlin so rar wie teuer, andererseits will ich heute auch gar nicht mehr in Berlin wohnen. Die Stadt und ich haben uns auseinandergelebt. Meine Freundin und ich leider auch.

All das geht mir durch den Kopf, als ich durch die Gänge der Düsseldorfer Kunstakademie laufe. Es ist der jährliche Rundgang und ich bin gekommen, um mir die Abschlussarbeiten der Class of ’24 anzuschauen. Nicht alles gefällt mir und nicht alles verstehe ich, aber ich mag es, die Grenzen meiner eigenen Konventionen auszuloten. Klar, zwischendurch habe auch ich meine Fettecken-Momente, wenn ich mich frage, ob die in den Räumen abgestellten Bierflaschen oder die eigenwillig gekleideten Menschen nicht eventuell doch Installations- oder Performance-Kunst sind. Antwort zu 1: Nein, Reste von der Party vom Vorabend. Antwort zu 2: Ebenfalls nein, der melancholisch vor sich hinrauchende Student hat einfach einen riesigen silbernen Chandelier-Ohrring zu einem für seinen schlaksigen Körper mindestens drei Nummern zu großen Second-Hand-Nadelstreifenanzug kombiniert, das Ganze mit einer Prise Drama-Attitüde gepaart und voilà, fertig war sein Outfit of the Day. Ich bin fasziniert! Wie schnell und selbstverständlich man doch Schubladen im Kopf aufmacht. Das Gehirn liebt solche Aufräumaktionen – die effizienteste Form von Komplexitätsreduktion. Anschauen, wegsortieren, fertig. Ich bekenne mich schuldig: Ich bin die Marie Kondo der Ersteindrücke. Doch ich weiß um meine Fehler und bin stets bemüht zu lernen. Mit einer Millisekunde Abstand bekomme ich es meistens hin, das in die Schublade Gestopfte wieder herauszuziehen und es mir noch einmal neu und unvoreingenommen anzusehen. Beginner’s Mind heißt das im Buddhismus – die Dinge so zu sehen, als sehe man sie zum ersten Mal. Nicht vorschnell ein Label draufpacken, sondern sie frei von Assoziationen, offen und neugierig betrachten. Für Schubladen im Kopf sind moderne Kunst und exzentrische Menschen ein gutes Training.

Nach dem Rundgang gehe ich ins Bistro Zicke. Ich blättere durch die Karte. Die Gerichte erkenne ich fast alle wieder, die Preise nicht. Wie lange war ich nicht hier? Wahrscheinlich zuletzt mit meiner Berliner Freundin. Seitdem sind einige Euros den Gastronomie-Rhein heruntergeflossen. Sinnlos, sich darüber aufzuregen. Denn was bleibt einem übrig, wenn man sich nicht nur für den eigenen Küchentisch hübsch machen will. Love it, change it or leave it, und leave it kommt für mich nicht infrage. Ich gehe gerne aus, weil man eigentlich immer mit mehr zurückkehrt, als man von zu Hause weggegangen ist, seien es Geschichten, Eindrücke oder Telefonnummern. So gesehen ist man am Ende des Tages immer reicher als vorher, auch wenn man de facto weniger Geld in der Börse hat.

Und ich denke: Das ist es, was Lagerfeld meinte! Was ein Philosoph.

An manchen Orten bleibt die Zeit (fast) stehen

Einer meiner Rundgang-Favoriten

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