Wenn man mich noch vor einer Woche gefragt hätte, was ich am liebsten hätte und am dringendsten bräuchte, dann hätte ich gesagt: mal keine Termine und einfach nur Zeit für mich. Jetzt habe ich, so wie es aussieht, mehr als genug von beidem in Aussicht. Und ich bin völlig überfordert damit.
Gefühlt hat sich die Welt, wie wir sie kennen, in den letzten 72 Stunden komplett verändert. Die Ereignisse überschlagen sich nicht nur, sie stolpern regelrecht übereinander und fallen sich gegenseitig auf die Füße. „Nichts ist so alt wie die Zeitung von gestern“ gilt in Zeiten der Digitalisierung ja schon lange nicht mehr, aber aktuell scheint selbst eine alle paar Minuten durchgeführte Webseitenaktualisierung nicht auszureichen, um mit dem Geschehen da draußen Schritt zu halten. Weshalb ich beschlossen habe, es gar nicht erst zu versuchen.
Es ist schwer, nicht dem negativen Sog und dem trügerischen Gefühl der Kontrolle zu erliegen, das einem ein permanent laufender Live-Ticker suggeriert. Aber seien wir doch mal ehrlich: Die Kontrolle haben wir doch schon lange nicht mehr. Wir können nur noch reagieren. Und nichts wird so bleiben, wie es war.
Nothing’s fine I’m torn
Eine unwohlige Erkenntnis. Ich befinde mich gerade in einem seltsamen Zwischenraum zwischen zwei Welten, gefangen zwischen zwei Realitäten; gelähmt und seltsam leer. Für einen kurzen Moment steht meine Welt still. Und Stille kann bekanntlich sehr schwer auszuhalten sein.
Ein Teil von mir hängt noch mit Herz und Verstand in der alten Realität fest und will sie unter allen Umständen aufrechterhalten. Ich wlll das Leben, das ich bislang geführt habe, weiterführen. Mit allem, was dazu gehörte. Punkt. Mit allem Stress, mit zu wenig Zeit, mit all den Terminen. Aber wenigstens mit dem Gefühl, zu wissen, was kommt.
Der andere Teil von mir hat längst akzeptiert, dass das keine Option mehr ist. Er ist schon in der neuen Welt – aber da ist ja noch nichts. Die neue Welt ist ein Vakuum. Es gibt noch keinen Alltag, keine Routinen, keine vertrauten Verhaltensweisen. Man weiß heute nicht, was morgen kommt. Und das ist verdammt unheimlich.
Ich fühle mich, als würde ich mit den Beinen auf zwei getrennten Eisschollen stehen, die langsam voneinander wegdriften. Mir ist klar, das bereits für mich entschieden wurde, auf welche ich springen muss. Aber irgendwie bekomme ich die Füße gerade nicht hoch.
Von Wandel, Beständigkeit und der Fähigkeit, sich anzupassen
Ich arbeite in der Werbe- und Medienbranche und was wir unseren Kunden seit Jahren predigen sind schlaue Sätze wie „The only constant is change“, ein schickes Zitat von Heraklid (wir Werber werden gerne mal pathetisch, wenn wir bei Kunden Eindruck schinden wollen). Wahrscheinlich hat aber niemand von uns jemals wirklich VERSTANDEN, was dieses Zitat bedeutet oder seine Aussage GEFÜHLT. Bis jetzt.
Wenn wir ehrlich sind, haben wir doch bislang in einer Welt der absoluten Sicherheit, Beständigkeit und Verlässlichkeit gelebt. Natürlich hat es in den letzten zwanzig Jahren mehr und weitreichendere technologische Veränderungen gegeben als jemals zuvor, aber was trotz aller ihrer Auswirkungen immer geblieben ist, ist eine relative Konstanz in Bezug auf unser soziales Miteinander und unsere Gesellschaft im Allgemeinen. Genau das gerät aber nun erstmals in Wanken.
Sowohl meine Generation als auch die Generation meiner Eltern ist in einem Land und einer Zeit aufgewachsen, in der wir unterm Strich in Frieden und Sicherheit gelebt haben. Ein Leben, in dem wir uns einschränken müssen, kennen wir nicht.
Durch Corona ist nun alles anders. Zur tatsächlichen gesundheitlichen Bedrohung durch das Virus kommen nun die Auswirkungen auf unser soziales Leben (kurzfristig) und unsere Wirtschaft (mittelfristig). Nur, wenn wir bereit sind, komplett umzudenken, radikal Neues in Erwägung zu ziehen, uns gegenseitig unterstützen wie noch nie und aufhören, immer nur an uns selbst zu denken (Hallo, Hamsterkäufe!), wird unsere Gesellschaft diese Zeit überstehen. Mehr noch – wir werden irgendwann verstehen, dass dies eine einmalige Chance war, bestimmte Dinge in unserem sozialen und wirtschaftlichen System kritisch zu hinterfragen.
Und auf einmal wird mir klar, dass es gar keine andere Alternative gibt, als mein altes Leben loszulassen und sich komplett auf das einzulassen, was jetzt kommt. Ich hebe den Fuß von der Eisscholle und springe.