Thank you for the music

Neulich saß in der Bahn ein Mann vor mir und hörte Musik auf einem Discman. Während sich die Menschen um ihn herum mit Handys, Airpods und Spotify von der Welt abkapselten, hielt er eine silberfarbene, leicht mitgenomme aussehende Schatulle in der Hand und wechselte zwischen zwei Haltestellen die CD, als wäre es das Normalste der Welt. Riding the train like it’s 1995. Super Typ! Selbstverständlich hatte auch ich früher einen Discman. Ich weiß noch, wie cool wir uns in der Schule fanden, weil wir in der Pause mit einem geteilten Kopfhörerpaar unsere Lieblingsalben hören konnten. Dann kam der iPod und meine CDs verstaubten in ihrem Regal. Bei meinem letzten Umzug habe ich sie in Kisten gepackt und verschenkt und gespendet. Wobei, eine Handvoll habe ich behalten, aus Nostalgiegründen. Vom meinem ersten Garbage-Album beispielsweise konnte ich mich genauso wenig trennen wie von den Klassik-CDs, die mir mein Vater in der Hoffnung geschenkt hatte, meinen abtrünnigen Musikgeschmack Anfang 20 doch noch positiv beeinflussen zu können.

Musik ist eine Zeitmaschine für Gefühle und Erinnerungen. Gib mir „I just died in your arms tonight” und ich reise zurück an diesen Abend im Sommer, bevor ich 17 wurde, auf die Gartenparty meines Kumpels Axel. Ich bin mit meinem Freund da, aber nur für diesen einen Abend finde ich Axel so viel interessanter als ihn, was mich einen Song lang in eine bodenlose Verzweiflung stürzt, wie man sie nur empfinden kann, wenn man 16 ist. Ich sitze auf der Gartenschaukel, starre mit randvollen Augen in die Nacht und im Hintergrund läuft Cutting Crew. „…I should have walked away…“. Ich glaube, jeder von uns weiß, welchen Song er für seinen persönlichen Trip Down Memory Lane auflegen muss. Nicht jede Liebe überdauert die Zeit, aber ihr Soundtrack schon.

Musik braucht ähnlich wie Gerüche nur Sekunden, um etwas in uns auszulösen. Sie transportiert uns an einen anderen Ort oder verschmilzt uns mit dem gegenwärtigen Moment. Besonders intensiv erlebt man dieses „Jetzt und Hier“-Gefühl auf einem Konzert. Das gemeinschaftliche Einswerden mit der Musik, die physische Nähe, das Vielzuviel an Licht und Lautstärke; Emotionen, die man mit hunderten, tausenden Menschen gleichzeitig erlebt – all das lässt einen am Ende des Abends high zurück. Doch wie bei jeder Droge gibt’s auch hier den Comedown. Nicht selten folgt am Tag nach einem Konzert ein unspezifisches Gefühl der Leere, der Traurigkeit, der Perspektivlosigkeit. Gestern noch Königin der Nacht, heute Straßenkehrerin auf den eigenen Abwegen. Dafür gibt es sogar einen offiziellen Begriff: „Post Concert Depression“. Vereinfacht gesagt handelt es sich um einen Crash der Hormone. Endorphine und Adrenalin schießen erst durchs Dach und dann – puff! Weg sind sie! Die Manege ist leer, das Licht ist aus. Wenn die Sinuskurve steil nach oben ausschlägt, geht sie anschließend steil nach unten. Nach dem High folgt das Low, erst dann pendeln wir uns wieder in unserer Mitte ein. Der Körper kann nicht anders.

Eines der besten Konzerte, an das ich mich erinnere, war ein Open-Air-Festival in Lissabon letztes Jahr im Sommer. The Prodigy als krönender Abschluss des Tages um 1:30 Uhr nachts. Normalerweise liege ich um diese Zeit längst im Bett, doch an diesem Abend war ich hellwach und voll da. Die Nacht war kühler, als man es in Portugal im August erwarten würde, und meine Freundin und ich zu sommerlich angezogen, doch die tanzende Menge hielt uns warm. Stroboskoplicht und Bässe zerteilten unsere Körper und setzten sie neu zusammen, die Musik steuerte uns wie Marionetten, wir sprangen, wir lachten, wir schrien mehr, als dass wir mitsangen. Ein sound-induzierter Rausch, mit geschlossenen Augen ein Gefühl von Unendlichkeit, die Nacht so groß wie wir.

Am nächsten Tag mussten wir um 10 Uhr raus aus unserem AirBnb, weil wir weiter an die Küste reisen wollten. Nachdem ich meinen Koffer gepackt hatte, lief ich noch eine Weile alleine durch die Stadt. Es war zu heiß, ich war hungrig und dann auch wieder nicht, ich fühlte mich gleichzeitig müde und aufgedreht und wusste nichts mit mir anzufangen. Erst, als ich abends auf der Terrasse unseres Häuschens in Ericeira stand und auf den Atlantik blickte, fühlte ich wieder Ruhe in mir. Wieder zu Hause suchte ich vergebens meine alte „Fat of the Land“-CD. Nicht, dass ich sie hätte abspielen können – mein CD-Player und mein Discman waren längst verschrottet und verkauft. Aber ich hätte sie gerne noch einmal in den Händen gehalten.

Auf Instagram habe ich letztens einen klugen Spruch gesehen. „Collect moments, not things“. Ist was dran. Eine Platte kannst du irgendwann nicht mehr abspielen. Die Erinnerung schon.

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  1. Klaudi sagt:

    Kann dich so gut verstehen! Heute Morgen hat mich ein Song aus dem Radio Jahr 2007 zurück katapultiert. Bei fast allen Liedern weiß ich noch, wo ich sie das erste Mal gehört hab, das Land, den Ort und die Umstände.

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