Mittlerweile lebe ich bereits seit fast drei Wochen in London, und dass ich darüber noch nichts zu Papier gebracht habe liegt keinesfalls daran, dass hier zu wenig passiert ist. Vielmehr ist das komplette Gegenteil der Fall. Seitdem ich in Heathrow aus dem Flugzeug gestiegen bin, bin ich in einer Art dauerhaftem Hellwach-Alarm-Achtung, aufpassen!-Zustand. Alles ist neu, alles ist zum ersten Mal, alles ist anders. Das klingt nicht nur verdammt anstrengend, das ist es auch. Ich muss mich überall neu zurechtfinden: Was ist der beste Weg zur Arbeit (und mind you, das ist in London keinesfalls eine triviale Frage!)? Wo kaufe ich meine Lebensmittel (Antwort: überall und immer, in dem Punkt ist London verdammt gut)? Wer ist wer im Büro (und was genau sind eigentlich meine Aufgaben)? Und wie zum Henker funktioniert nochmal die Heizung in meiner Wohnung (Antwort: keine Ahnung)? Von komplexen Herausforderungen wie Straßenüberquerungen in der Rushhour (Linksverkehr!) will ich gar nicht erst sprechen.
Wie sehr man im Alltag durch Routinen funktioniert, merkt man erst, wenn sie einem fehlen. Ich fühle mich, als hätte jemand meinen persönlichen Autopiloten einfach ausgebaut, und nun muss ich jede Handlung bewusst und manuell steuern. Ja, das ist anstregend. Aber es ist auch wahnsinnig aufregend. Wenn mein Leben ein Onlineshop wäre, dann stünde momentan an jedem Teil *NEU. Ich habe den Luxus, mir meinen Alltag und meine Routinen von Grund auf neu zusammenzustellen – ganz wie es mir beliebt. Und so kommt das Frühstück am Küchentisch statt im Büro in meinen Warenkorb, der Yogakurs am späten Montagabend und am frühen Samstagmorgen, das Lesen der „Metro“ auf dem Weg zur Arbeit und des „Evening Standard“ auf dem Weg zurück, das Joggen durch den morgendlichen Battersea Park, das Wissen, dass dienstags „Time Out“-Tag ist und man da seine Wochenaktivitäten plant, die freitägliche Team-Mittagspause mit den Kollegen (und dem ein oder anderen Glas Wein), die täglichen „how was your day?“-Gespräche mit meiner Mitbewohnerin, der Americano von der Barista mit den grünen Haaren in dem kleinen Coffeeshop um die Ecke, das Piepen meiner Oyster Card auf den Lesegeräten der U-Bahn-Stationen.
All diese Dinge werden langsam aber sicher zu meinen kleinen Routinen. Ich fokussiere mich hier auf ausgewählte Dinge – dort, wo mein Leben zu Hause bis in den letzten Winkel vollgestopft war, lasse ich jetzt Platz, um das, was ich tue, auf mich wirken zu lassen. „Less is more“, das lerne ich grade; seltsamerweise in einer Stadt, deren Motto eigentlich „more is more“ ist. Vielleicht braucht es manchmal einen solch extremen Kontrast, um etwas zu verändern. Und einen leeren Einkaufskorb.
(Titelbild: Rolltreppen im „Peter Jones“-Kaufhaus in Chelsea, das in puncto Style und Architektur definitiv einen Besucht wert ist)