Lass uns über’s Wetter reden!

Wahrscheinlich kann man Kulturen erst dann wirklich verstehen, wenn man in ihnen lebt. Ganz sicher ist das so. Zwar maße ich mir nicht an, nach nur drei Wochen im Lande die Briten in all ihren Facetten zu verstehen (ehrlicherweise verstehe ich ja noch nicht mal die Deutschen), dennoch erschließen sich mir einige Dinge, die mir bis vor kurzem unbegreiflich schienen, mittlerweile ein wenig besser. Früher habe ich mich  beispielsweise immer darüber amüsiert, dass britische Frauen bei Temperaturen, die ich persönlich nur in 80 den-Strumpfhosen, geschlossenen Schuhen, Schal und Jacke zähneklappernd ertrage, ohne mit der Wimper zu zucken flatterige Tops, transparente Kleidchen und leichte Sommersandalen tragen. Und ich habe mich eigentlich nur eines gefragt: Warum???

Heute weiß ich die Antwort. Weil Wetter – wie so vieles im Leben – relativ ist. Und die Faktenlage zum Thema jahreszeitenabhängige Bekleidung ist einfach bestechend.

Fakt 1: Es macht keinen Spaß, das ganze Jahr über die gleichen Klamotten zu tragen. So schön Jeans, Flanellhemd und Kaschmirpulli auch sind – irgendwann hat man sich an ihnen sattgesehen. 

Fakt 2: In Sommerkleidung fühlt man sich unbeschwerter, hübscher und weiblicher. Die leuchtenden Farben scheinen Sonne und Wasser zu reflektieren und die fließenden Stoffe umschmeicheln den Körper wie eine sanfte Meeresbrise. Man fühlt sich einfach gut. Punkt. 

Fakt 3: Wenn man in Großbritannien darauf warten würde, dass das Wetter nach allgemein gültigen Standards ausreichend sommerlich für derartige Kleidung ist, könnte man sie ganz genau an maximal 5 Tagen im Jahr tragen.

Folglich fühlt man sich hierzulande von jeder noch so kleinen positiven Wetteränderung zum Ausführen seiner Sommergarderobe ermutigt. Wenn uns Deutsche das Wetter noch regelrecht anschreien muss „Jetzt zieh endlich die Socken in den Sandalen aus!“, läuft der Engländer schon längst barfuß. Nein, wir Deutschen wollen lieber auf Nummer Sicher gehe, für uns ist Wetter keine Ansichtssache. Erst dann, wenn wir in der Tagesschau mehrfach hintereinander die Worte „Sommer“ und „Hitze“ gehört haben, wagen wir es, unsere Garderobe entsprechend umzustellen.

Die Briten wiederum lassen sich nicht von offiziellen Instanzen oder äußeren Gegebenheitem vorschreiben, wann für sie der Sommer beginnt. Im Gegenteil zeigen sie eine erstaunlich progressive Einstellung zu solch kleingeistigen Konzepten wie Temperatur oder Sonneneinstrahlung. Sie sind frei in ihrem Denken und ebenso halten sie es mit der Verhüllung ihres Körpers.

Ja, ich verstehe die Briten heute ein wenig besser. Und nach wochenlangem Regen fühlen sich die heutigen 18 Grad mit Sonne-Wolkenmix-Himmel in der Tat an wie Hochsommer. Ich glaube, ich ziehe jetzt mal mein neues Chiffonkleidchen an und gehe in den Park. Ist doch perfekt draußen!

(Titelbild: Nicht Curaçao, sondern Chelsea: In London lässt man sich nicht davon irritieren, dass weder Farben noch Pflanzen dem Klima angemessen sind.)

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